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Bündnis 90 / Die Grünen und der Verkehrsclub Deutschland (VCD) hatten
zu einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion zum Thema Börsengang
der Bahn, am 23.10.2008 ins Cafe „Lokales“ am Westpark
(Eugen-Krautscheid-Haus) eingeladen. Es diskutierten der
VCD-Bundesvorsitzende Michael Gehrmann, die Wissenschaftler Tim
Engartner (Uni Köln) und Meike Spitzner (Wuppertal Institut für Klima,
Energie, Verkehr), die Bundestagsabgeordnete Bettina Herlitzius
(Bündnis 90/ Die Grünen) aus Aachen sowie Michael Dubbi, stellv.
Geschäftsführer des Zweckverbandes Ruhr-Lippe (ZRL), Unna. Moderiert
wurde die Diskussion vom Grünen-OB-Kandidaten und Fraktionsvorsitzenden
von Bündnis 90 / Die Grünen im Rat der Stadt Dortmund Mario Krüger.
Der Wissenschaftler Tim Engartner (Uni Köln) stellte in seinem
Eingangsreferat klar dar, welche Einkaufstour die Deutsche Bahn AG seit
dem Amtsantritt von Bahnchef Hartmut Mehdorn 1999 durchlaufen hat. 2001
kaufte die Bahn für 2,5 Milliarden Euro die Schenker-Stinnes AG,
seither ist die Bahn mit Schenker-DB Logistics der größte
Straßenspediteur in Europa. Dem folgte die 1,1 Milliarden Euro schwere
Übernahme von Bax Global in den USA, wo durch die Bahn zur Nummer 2 im
weltweiten Luftfrachtverkehr aufstieg. Mit weiteren Zukäufen ist sie
auch auf See weltweit die Nummer 3 der Seefrachtsparte.
Der Wert der Bahninfrastruktur wird mit 156 Milliarden Euro angegeben.
Der nötige Unterhaltungsbedarf läge bei 4,3 Milliarden Euro pro Jahr.
Tatsächlich werden jedoch nur 3,3, Milliarden Euro pro Jahr verausgabt.
Das bedeutet einen ständigen Investitionsrückstand, der sich in Mängeln
im Unterhalt niederschlägt, die zu Lasten der Sicherheit gehen können.
Meike Spitzner (Wuppertal Institut für Klima, Energie, Verkehr) führte
in ihrem Referat aus, dass die Bahn AG genau dort sparen wolle, wo
keine Rendite abfiele, also auch bei der Sicherheit. Aktuell beweise
dies die Auflage des Eisenbahnbundesamtes nach verkürzten
Wartungsintervallen infolge der Achsschäden an ICE-Triebzügen. Sie wies
daraufhin, dass bereits schon jetzt kein parlamentarischer Zugriff auf
die Bahn AG mehr möglich sei. Betriebsdaten seien ein
Geschäftsgeheimnis. Daher fehlten für die Zukunft Daten zur
Verkehrsanalyse und –planung. Der Bundesrechnungshof könne nur
folgenlos Fehlentwicklungen monieren. Sie wies zum Thema Klimaschutz
darauf hin, dass die Bahn kein Verlagerungsvolumen mehr aufweise, denn
das sei schon stillgelegt oder sogar abgebaut. Der Verkehrssektor trage
mit einem Drittel zu den CO2-Emissionen bei. Aus Klimaschutzsicht sei
Autofahren daher absoluter Luxus. Der Trend der Verkehrssteigerung
liefe gegen die Absichten zum Klimaschutz. Um die Klimaschutzziele
einhalten zu können, müsse man sich fragen ob man fahren und zu Hause
frieren oder heizen wolle? Daher bliebe Verkehrsvermeidung und
-verlagerung das vorrangige Ziel.
Der VCD-Bundesvorsitzende Michael Gehrmann monierte deutlich, dass die
Verkehrspolitik sowie die Umwelt-, Klima- und Sozialpolitik bei der
Bahnprivatisierung keine Rolle gespielt haben. Es sei nur darum
gegangen, die Bahn AG als Champion aufzubauen und die Gewerkschaften
mit dem problemlosen Wechsel innerhalb des Konzernarbeitsmarktes zu
befrieden. Er sieht in den Entwicklungen nicht Mehdorns Schuld, der
mache nur seinen Job: „…viel Schotter machen mit möglichst wenig
Verkehr.“ Gehrmann sieht ein Versagen der Politik, die sich
zurückgezogen habe und sich auf einen Bahnaufsichtsrat verlassen habe,
der nicht im Sinne des Gemeinwohls funktioniere. Ein Sitz im
Bahn-Aufsichtsrat sei kein repräsentatives Amt zum Abnicken für alt
gediente Politiker und Manager. So gab es auch keinen Widerspruch bei
Mehdorns Vorstoß zum Schalterzuschlag.
Von den prognostizierten 4 Mrd. Euro, die durch den Börsengang vor der
Finanzmarktkrise erlöst werden sollten, würden 2 Mrd. Euro in die
Bahn-Infrastruktur inklusive neuem Lärmschutz fließen. 1 Mrd. Euro
bekäme die Bahn AG direkt, Gehrmann spitzte zu: „…für den Kauf von
Kaianlagen in Shanghai.“ Eine weitere Mrd. Euro wandere direkt in die
Staatskasse.
Gehrmann stellte die Frage auf, was die Gesellschaft vom System Schiene
bei wachsendem Schienenpersonennahverkehr und Güterverkehr erwarte in
Bezug auf den Klimawandel, den demografischen Wandel ? Die Lösung kann
für ihn nur ein Masterplan Schiene sein. Ferner müsse es ein
Schienenfernverkehrsgesetz sowie einen Integralen Taktfahrplan (ITF)
für ganz Deutschland geben. Er forderte die Erarbeitung von
Bedarfsplänen und Mindeststandards.
Gehrmann wies in der Diskussion auf Erfolge in Rheinland-Pfalz, hin wo
durch die 50 prozentige Ausweitung der Fahrleistungen im Nahverkehr
rund 100 Prozent mehr Bahnkunden gewonnen werden konnten. Er teilte die
Einschätzung wonach die heutige Güterbahn keine freien Kapazitäten mehr
habe. Die Nachfrage sei schon zu hoch für die bestehende Infrastruktur,
eine Ausweitung sei infolge der Unterfinanzierung kurzfristig nicht
möglich.
Die Bundestagsabgeordnete Bettina Herlitzius (Bündnis 90/ Die Grünen)
wies daraufhin, dass es zu einer Verbesserung von Service, Komfort
Handhabung bei der Bahn kommen müsse. Heutige Bahnreisende müssten
jung, sportlich und ohne Gepäck sein, spitzte sie zu. Sie fordert die
künstliche Trennung von Fern– und Regionalnetz aufzuheben. Die
Trassenpreise könnten im schwach frequentierten ländlichen Raum nicht
die gleichen sein wie auf stark frequentierten Strecken im
Ballungsraum. Herlitzius wies daraufhin, das das Aktienrecht nicht
geeinigt sei damit Aufgaben des Gemeinwohls abzusichern.
Michael Dubbi, stellv. Geschäftsführer der Zwecksverbandes Ruhr-Lippe
(ZRL), stellte dar, dass es in den letzen Jahren gelungen sie, sowohl
die Zugleistungen als auch die Qualität im Nahverkehr zu erhöhen. 75
Prozent der Leistungen wurden europaweit ausgeschrieben, viele
Privatbahnen erhielten den Zuschlag. Zu einem Lohndumping sei es nach
seinen Worten jedoch nicht gekommen. Hinter den Privatbahnen stünden
oft große Konzerne aus dem Ausland, die an der Börse notiert seien.
Hier wolle die Bahn AG mit ihrem Börsengang gleichziehen.
Der Wegfall der Interregios (IR) 2002 konnte noch durch mehr Nahverkehr
aufgefangen werden. Den drohenden Wegfall von weiterem Fernverkehr wie
der Mitte-Deutschland-Verbindung Düsseldorf–Erfurt könne nicht mehr
kompensiert werden.
Dubbi plädiert dafür, dass die Infrastruktur auf keinen Fall an die
Börse gehen dürfe, da dies eine Gemeinwohlverpflichtung des Bundes sei.
Es sei bedenklich, dass die Bahn nach bisherigen Entwürfen 11 Prozent
des Netzes einfach stilllegen dürfe, ohne das die Finanzhilfen des
Bundes für das Bahnnetz entsprechend abgesenkt werden würden. Er
forderte eine Überprüfung und Kontrolle der Trassenpreise und die
Definition von Qualitätsmerkmalen, wie Höchstgeschwindigkeit,
Ausweichen etc.. Dubbi monierte, dass die Privatbahnen höhere Preise
für die Nutzung von Schienentrassen und Bahnhöfen zu zahlen hätten, als
die Bahn AG (DB Netz) ihren Tochterfirmen in Rechnung stellt. Er
begrüßte die Erarbeitung eines Netzzustandsberichtes.
Fazit:
Es stellt sich die Frage nach der demokratischen Kontrolle der Bahn.
Sind die ausländischen Aktivitäten eine staatliche Aufgabe? Wird
Mehdorn nicht all zu freie Hand gelassen? Wenn wir mehr Schienenverkehr
wollen, muss die Politik dies nachdrücklich verankern.
Es herrschte bei der Diskussion Einigkeit darüber, dass dem System
Schiene nichts mehr zugetraut wird. Die Politik muss endlich sagen,
dass der Schienenverkehr etwas kosten darf und wir ihn aus umwelt-,
klima- und sozialpolitischen Gründen brauchen. Dazu ist ein
gesellschaftlicher Konsens herzustellen.
Jörg Drewenskus
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